Von Istanbul nach Kappadokien - ab ins Hochland und dann hoch hinaus

Asien begrüßt uns - auf nach Zentralanatolien!

Da alle Bosporusbrücken leider für Fahrräder (und Fußgänger) gesperrt sind, mussten wir mittels Fähre über die Meerenge übersetzen. Selbst das war nicht ganz einfach, denn am Fahrzeugschalter gingen wir (wohl aus Prinzip) nicht als Fahrzeug durch (der popelige Roller vor uns hingegen schon…). Zum Glück half uns ein sehr freundlicher Angestellter am entfernten Fußgängereingang, die Räder durch den eigentlich nicht dafür ausgelegten Durchgang zu bekommen. Dafür begrüßte uns der asiatische Teil Istanbuls dann mit einem sehr schönen Radweg entlang des Marmarameers. Und die Leute hier waren unglaublich freundlich und offen! Viele Passanten und Istanbuler Radler waren neugierig und für einen Plausch zu haben, einige gaben uns sogar Verpflegung mit. Der asiatische Teil Istanbuls ist gleich viel weniger touristisch, weshalb wir als Reisende hier gleich deutlich mehr auffielen. Immer nicht weit von der Meeresküste bewegten wir uns stetig in Richtung Osten. Da die Hauptstraße bald unangenehm voll wurde, schlugen wir uns über kleinere Ortsstraßen weiter. Bald haben wir dann Istanbul einmal von Westen nach Osten durchquert! Nach einem kurzen, aber knüppelharten Anstieg erreichten wir Gebze, den Sterbeort von Sultan Mehmed II. und von Hannibal. Da wir aber keine großen Eroberer sind, konnten wir den Ort lebend verlassen. Bei İzmit hörte dann das Meer auf und es war nicht mehr weit zum See von Sapanca, unserem letzten Aufenthaltsort im Tal, bevor es endgültig in die Berge ging. Über eine sehr gute Straße mit sehr gutem Seitenstreifen ging es stetig durch eine für uns überraschend grüne Gebirgslandschaft. Wir fuhren über Mudurnu, eine alte Karawanenstadt an einem Arm der Seidenstraße, welche dank ihrer sehr gut erhaltenen osmanischen Wohnhäuser seit 2015 Kandidatenstatus als UNESCO-Weltkulturerbe hat. Auf dem Aynalikaya-Pass erreichten wir mit 1210 m den bislang höchsten Punkt unserer Reise. Von dort aus ging es noch etliche Kilometer durch ein bewaldetes Flusstal, ehe sich nach Nallıhan vor uns das zentralanatolische Hochland auftat: der Wald war plötzlich vollkommen verschwunden! Bunte Hügelketten erstrecken sich in mehreren wilden Reihen bis zum Horizont. Im Gestein wechseln sich Rot, Beige, Orange und sogar Grün ab. Was für ein Kontrast, nun durch diese Marslandschaft zur radeln! Bald erreichten wir Cayirhan am Nordende eines großen, verzweigten Stausees. Der örtliche Campingplatz ist ein Traum – klein, mit vielen Bäumen, Gänsen und kleinem Restaurant direkt über dem See! Der Eigentümer Osman musste uns allerdings bremsen: heute wird er uns hier nicht aufnehmen können. In der Stadt findet ein Volksfest statt. Und der Bürgermeister hat darum gebeten, dass alle Camper auf dem Gelände des Festivals kampieren sollen. Auf diese Weise für das Festival schanghait, radelten wir etwas unschlüssig zum Gelände. Das Sicherheitspersonal (und der Bürgermeister selbst?) verwies uns dann auf die Wiese am Seeufer, wo wir zelten durften. Zwei Polizisten erkundigten sich nach unserer Reise und geleiteten uns dann zu einer Essensausgabe. Hier bekamen wir, von der Stadt bereitgestellt, ein komplettes Abendessen und von den Polizisten noch ein paar Stücke Melone! Wahnsinn! Auf der großen Bühne neben dem Basar wurden abends Volkstänze aufgeführt und später Musik verschiedener Richtungen gespielt. In Beypazarı lernten wir mit Sarma (gefüllte Weinblätter) und Gözleme (gefülltes Fladenbrot) zwei weitere sehr schmackhafte türkische Speisen kennen. Vor dem Straßenrestaurant sprach uns ein Lokalreporter an und schoss ein paar Fotos, weshalb wir einen Tag später in der Lokalpresse landeten. In Ayaş vor Ankara sahen wir dann plötzlich etliche beladene Fahrräder vor einem Restaurant. Im Lokal winkten uns schon Leute herüber. Es stellte sich heraus, dass 25 Radlerinnen und Radler des Fahrradclubs aus Ankara heute genau die entgegengesetzte Etappe von Ankara nach Beypazari fuhren! Wir wurden zu Linsensuppe und Wasser eingeladen und kamen mit Uğur ins Gespräch. Er ist Lehrer in Ankara und war erst vor einigen Wochen für einige Zeit in München. Draußen vor dem Lokal machten wir Gruppenfotos und unsere Räder wurden inspiziert. Eine tolle Begegnung! Nach dem Aysanti-Pass rollten wir dann hinunter nach Ankara, wo wir durchaus Mühe hatten, uns durch den Verkehr durchzuschlagen. Unser Besichtigungsprogramm in der Hauptstadt der Türkei bestand natürlich aus dem Anıtkabir, dem Mausoleum für Mustafa Kemal Atatürk, und dem Museum für anatolische Zivilisationen. In letzterem mussten wir über eine knapp 4000 Jahre alte Keilschrifttafel schmunzeln, in welcher ein König einen Amtskollegen zum Öffnen der Staatsgrenze für Reisende auffordert - diese Einstellung brauchen wir heute auf unserer “kleinen Runde” dringend auch! Von Ankara aus radelten wir nach Süden aus der Stadt hinaus in Richtung des Tuz Gölü, was übersetzt einfach “Salzsee” heißt - durchaus berechtigt, denn immerhin ist es einer der salzhaltigsten Seen der Erde. Im Sommer entsteht durch die Verdunstung eine dicke Salzkruste, welche begehbar ist. Als wir dort vorbeifuhren, fand sogar ein Ultramarathon auf der Salzfläche statt. Im Camp der Läufer durften wir unser Zelt mit aufbauen. Uğur und seine Familie aus Istanbul hatten uns auf das Camp aufmerksam gemacht und luden uns abends an ihr Zelt zu Tee, Keksen und Sarma (gefüllte Weinblätter) ein. Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft und den schönen Abend! Der Salzsee bot vor Sonnenuntergang eine sehr schöne Kulisse für Fotos. Am nächsten Tag fuhren wir weiter in Richtung Süden nach Aksaray. Über der Stadt thront der Hasandağı, ein freistehender Vulkan mit einer Höhe von 3268 m.

Kappadokien: Höhlenlandschaften und Tuffsteinfelsen

Östlich von Aksaray beginnt eine Landschaft, welche unter dem Namen Kappadokien bekannt ist. Am vergleichsweise weichen vulkanischen Tuffstein betätigten sich hier Wind und Wasser als rege Bildhauer. Der Mensch tat dann sein übriges dazu: vor etwa eintausend Jahren schuf die hier lebende byzantinische Bevölkerung im Tuffstein ganze Wohnanlagen mit mehrgeschossigen Kirchen. In Selime besichtigten wir eine dieser Anlagen. Die fortschreitende Erosion hinterließ zwar ihre Spuren, aber trotzdem sind viele der ehemaligen Wohnhöhlen und Felsenkirchen noch intakt. An Selime schließt sich das Ihlara-Tal an. Dieses enge Flusstal, welches von der umgebenden Steppenlandschaft aus kaum zu erkennen ist, beherbergt eine ganze Reihe von Felsenkirchen, in denen teilweise noch knapp eintausend Jahre alte Fresken erhalten sind. In Derinkuyu schauten wir uns eine mehrgeschossige unterirdische Stadt an, in welcher bis zu 20.000 Menschen leben konnten! Die Gänge sind teilweise sehr eng und man kommt dann nur gebückt vorwärts. Leute mit Platzangst werden sich dort nicht unbedingt wohlfühlen. Mit Göreme erreichten wir schließlich das touristische Zentrum Kappadokiens schlechthin. Neben seinen Felsenlandschaften und Wohnhöhlen ist der Ort vor allem für die morgendlichen Massenstarts von Heißluftballons bekannt, welchen wir den nächsten Absatz widmen werden. Der Status als Tourismusmagnet bringt natürlich auch gewisse Nebenwirkungen mit sich. Die Preise erreichen hier generell das Niveau der Istanbuler Innenstadt. Nur gute 20 Kilometer weiter in eine beliebige Himmelsrichtung hat sich das aber wieder völlig normalisiert. Gerade die Erfahrungen in der Türkei mit ihren enorm aufgeschlossenen und äußerst gastfreundlichen Menschen haben uns gelehrt, wie wichtig und belohnend es ist, nicht nur von Attraktion zu Attraktion zu springen, sondern auch das vermeintlich weniger interessante “Dazwischen” zu erfahren. Dies mag in gewisser Weise eine Binsenweisheit sein und auf die allermeisten Länder zutreffen, in der Türkei wurde uns dies aber besonders prägnant bewusst. Von Göreme aus radelten wir dann weiter in Richtung Osten nach Kayseri, der Geburtsstadt des osmanischen Architekten Sinan. Dort legten wir dann erst einmal ein paar Pausentage ein, um eine kleine Hitzewelle (die vielleicht letzte dieses Sommers?) auszusitzen.

Die Heißluftballons von Kappadokien

Göreme ist mittlerweile sehr bekannt für seine morgendlichen Heißluftballonflüge. Da das Klima hier recht trocken und morgens oft windstill ist, sind die Bedingungen für die Flüge sehr vorteilhaft. Prinzipiell fliegen die Ballons jeden Tag im Jahr um den Sonnenaufgang herum. In der Praxis gibt es wetterbedingte Absagen, vor allem aufgrund von zu starkem Wind (so geschehen auch an unserem ersten Morgen bei Göreme, wo wir eigentlich die Ballons vom Zelt aus beobachten wollten). Wir konnten die Ballons an zwei Tagen beobachten und sind einmal selbst mitgeflogen. Der Massenstart erfolgt normalerweise etwa eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang und die Flüge dauern etwa eine gute Stunde. Die genauen Flugverläufe waren für uns Laien nur schwer vorhersehbar, da die Windrichtungen in unterschiedlichen Flughöhen variieren können. Daher sind unsere hier geschilderten Beobachtungen auch ohne jede Gewähr. Bei Süd- und Süd-west-südwind sind einige Heißluftballons sehr tief durch das Tauben-Tal südwestlich von Göreme geflogen, weshalb sich uns dort ziemlich spektakuläre Anblicke boten. Bei unserem Ballonflug herrschte auch ein Süd-west-südwind. Da die Flüge der meisten Ballons (so wie auch unserer) nördlich von Göreme starten, entfiel der Tiefflug durch eines der Täler. Ein spektakuläres Erlebnis bleibt es natürlich trotzdem! Am letzten Beobachtungstag herrschte Ostwind, weshalb die Heißluftballons in sehr großer Zahl ins bekannte “Love-Valley” westlich von Göreme geflogen sind. Im Tauben-Tal war an diesem Morgen dann entsprechend auch gar nichts los - für gute Beobachtungsplätze muss man also die Windvorhersagen studieren und dann etwas Glück haben.

Über das Radfahren auf diesem Abschnitt

An der Küste des Marmarameers gibt es im asiatischen Teil Istanbuls einen sehr schönen, bis auf wenige Stellen auch zusammenhängenden Radweg, der auch von Einheimischen rege genutzt wird! Kurz vor der Stadtgrenze Istanbuls wechselten wir wieder auf größere Straßen. Die D-100 kann hier unangenehm voll werden, hat jedoch meistens direkt parallel verlaufende Nebenstraßen, welche erheblich ruhiger sind. Zwischen Dilovası und Kışladüzü gibt es keine sinnvolle Alternative zur D-100, deren Seitenstreifen hier leider unangenehm schmal war. Immer wieder können kleinere Abschnitte direkt am Meer gefahren werden, bis wieder auf Straßen im Hinterland zurückgegriffen werden muss. Ab Bedılkazancı östlich von Sapanca folgten wir dann - von einem kurzen Abstecher nach Mudurnu abgesehen - immer der D-140 bis nach Ankara. Diese Straße ließ sich ausgezeichnet radeln: fast immer war ein breiter Seitenstreifen vorhanden, die Straße ist in einem sehr guten Zustand, die Steigungen nie zu steil und der Verkehr bis kurz vor Ankara selbst an Werktagen sehr überschaubar! Die Stadteinfahrt nach Ankara hat uns dann allerdings erheblich weniger Freude bereitet als die Fahrt ins Zentrum von Istanbul: um wirklich von Stadtteil zu Stadtteil zu kommen, haben wir oft auf größere mehrspurige Straßen zurückgreifen müssen, welche hier nur selten einen Seitenstreifen hatten. Tipp: vor den mehrspurigen Kreisverkehren und Kreuzungen frühzeitig auf die korrekte Spur einordnen (sofern man sie denn findet) und dabei das Hupen der Auto- und Busfahrer ignorieren - am Ende ist das für alle Beteiligten entspannter als der zu späte Spurwechsel… Das Herausfahren aus Ankara nach Süden war deutlich kürzer und verkehrstechnisch etwas angenehmer, jedoch mit harten Anstiegen verbunden. Sobald man den Eymir-See erreicht hat, kann man sich dann auf der Fahrradstraße am Seeufer erholen. Von Gölbaşı aus folgten wir immer der D-750 vorbei am Tuz Gölü nach Aksaray. Diese Straße fährt sich ausgezeichnet: breiter Seitenstreifen, nicht allzu viel Verkehr, milde Steigungen und sehr schöne Aussichten! Nur Gegenwind könnte hier das Radfahren verderben… Von Aksaray aus folgten wir kleineren Landstraßen, welche die Touristenattraktionen Ihlara, Derinkuyu und Göreme miteinander verbinden. Dabei wurde uns bewusst, dass wir in der Türkei eindeutig die größeren D-Straßen bevorzugen, da diese halt meistens über einen Seitenstreifen verfügen. Das Tempo des Verkehrs ist für uns gefühlt auf beiden Arten von Straßen gleich, aber auf den D-Straßen gibt es einfach mehr Platz und sie sind auch übersichtlicher, was vor allem in Rechtskurven nicht zu unterschätzen ist. Ab Avanos sind wir nach Kayseri auf der D-300 gefahren, welche bis Garipçe allerdings in einem nicht ganz so guten Zustand ist wie die bisherigen D-Straßen, welche wir befahren haben. Von allen türkischen Städten hat das Radfahren in Kayseri bislang am meisten Spaß gemacht. Es gab auf den Straßen viel Platz und der Verkehr war weniger hektisch als in Ankara oder Istanbul.

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Von Kappadokien nach Tiflis - Hochland, Schwarzes Meer und Georgiens enorme Vielfalt

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