Von Kappadokien nach Tiflis - Hochland, Schwarzes Meer und Georgiens enorme Vielfalt

Durch die Steppe ans Meer

Nach der Reise zu den Höhlen, Tälern und Ballons Kappadokiens zog es uns wieder in Richtung Meer. Dazu mussten wir aber erst einiges an Steppenlandschaft im anatolischen Hochland durchqueren. Die Straßen waren dort in einem ausgezeichneten Zustand, sodass wir recht zügig vorankamen, wenn nicht gerade der Wind zu stark von vorne wehte. An einigen Tagen trieb uns aber ein heißer Südwestwind sogar sehr ordentlich vor sich her, weshalb wir uns eigentlich nicht beklagen dürfen. Eine gewisse Herausforderung war aber auch die sengende Sonne. Nirgendwo auch nur ein kleines Bäumchen bis zum Horizont, keine Chance, ihr zu entfliehen. Umso mehr genossen wir ab Tokat im Norden der Türkei dann wieder das Radeln durch eine bewaldete Landschaft bei zunehmend angenehmen Temperaturen. Rückblickend haben wir viel Glück gehabt: Tage mit über 40 °C und schmelzendem Asphalt, wie von anderen Radreisenden berichtet, sind uns erspart geblieben. Der akute Hochsommer ist nun durch, weshalb wir hoffentlich keine allzu ausladenden Hitzewellen mehr fürchten müssen! Die bergige Landschaft nördlich von Tokat (wo wir übrigens den ersten platten Reifen unserer Reise hatten…) ist ein starker Kontrast zur Steppe des Hochlandes: Überall grüne Äcker mit Tomaten und anderen Gewächsen, dazwischen Baumreihen und sogar mehrere Kanäle, prall gefüllt mit Wasser. Bei Niksar fuhren wir dann in das weite Tal der Nordanatolischen Verwerfung hinab. Anatolische Platte (im Süden) und Eurasische Platte (im Norden) schrammen hier aneinander vorbei. Bei der Abfahrt haben wir regelrecht gefroren, an ein ganz ungewohntes Gefühl seit Ungarn. Nach Niksar war ein gut 1.000 Höhenmeter messender Anstieg zu bewältigen, um ins Pontische Gebirge vorzustoßen, welches uns nun noch vom Schwarzen Meer trennte. Oben mussten wir dann abends sogar wieder die Mützen und Daunenjacken rauskramen. Noch einige kleinere Anstiege waren zu bewältigen. Bei Esentepe erblickten wir am Horizont dann endlich das Schwarze Meer!

Schwarzmeerküste: im Land der Haselnuss und des Tees

Die Abfahrt aus dem Pontischen Gebirge führte uns nun durch saftig grüne Gebirgstäler, die für den Anbau von Haselnüssen, Tee und Tabak bekannt sind. Geerntete Haselnüsse sahen wir dann auch in Unmengen auf dem Boden ausgebreitet am Straßenrand. Und zwar überall. Auf Wiesen, auf Parkplätzen, in Einfahrten, in Durchfahrten, auf Gehwegen, auf Spielplätzen, und so weiter… Die Temperaturen waren am Meer wieder wärmer (die Tiefsttemperatur in der Nacht war immer noch wärmer als die Höchsttemperatur am Tag oben am Pass…), aber nicht unangenehm. Nach einem Tag Radeln am Meer finden wir dann abends einen sehr schönen Badestrand: der Sand fein und die Wassertemperatur richtig angenehm. Eine schöne Belohnung nach der Durchquerung des Hochlandes! Etwas weiter im Osten fuhren wir durch die Küstenstadt Ordu. Ordu ist quasi die Welthauptstadt der Haselnussproduktion. Und hat sich sogar einen netten Radweg entlang der Uferpromenade gegönnt! Die weitere Fahrt bis zur Grenze nach Georgien war dann weniger abwechslungsreich, da wir auf der großen Küstenstraße in die “falsche” Richtung, nämlich entlang der vom Meer abgewandten Seite, unterwegs waren. Unterwegs gab es jedoch guten Fisch und die geschäftigen Einkaufsgassen von Trabzon, wo man wirklich alles findet, was man brauchen oder nicht brauchen könnte (und natürlich frische Haselnüsse!). In Trabzon nehmen wir mit Sorge und Frust die Eskalation in Armenien zur Kenntnis. Möglicherweise wird uns dies auch dazu zwingen, anstatt über den Süden Armeniens über die Türkei weiter in den Iran zu radeln. Nach Trabzon erreichten wir Rize, die Hauptstadt des türkischen Tees, was unschwer an den mit Teeblättern beladenen Lastwagen erkennbar war. Wir steuerten in Rize das Café von Mustafa an, einem Wirt, der gleichzeitig der Vorsitzende des örtlichen Radfahrclubs ist und den Raum über seinem Café für Radreisende als Übernachtungsmöglichkeit anbietet. Auf der letzten Etappe in der Türkei brach dann an Matthias` Fahrrad eine Schraube des hinteren Gepäckträgers. Die zur Reparatur benötigte Bohrmaschine führen wir aus Gewichts- und Platzgründen leider nicht mit. Glück im Unglück: auf dem Seitenstreifen der Gegenrichtung wird gerade ein LKW repariert. Nachdem der Lastwagen wieder läuft, kann uns der Mechaniker schnell und unkompliziert aus der Klemme helfen - die Türkei verabschiedet sich von uns mit einer weiteren Geste großer Gastfreundschaft! Vielen Dank dafür! Vor der Grenze nach Georgien stauen sich auf der rechten Spur kilometerlang die LKW. Wir studierten beim Vorbeiradeln die Kennzeichen: neben vielen LKW aus Aserbaidschan und natürlich Georgien und Armenien sahen wir Laster aus Usbekistan, Turkmenistan, Kasachstan, Tajikistan und Kirgisistan – die Stimmung zwischen den letzten beiden war vielleicht nicht die allerbeste, da momentan Grenzgefechte zwischen den beiden Ländern ausgebrochen sind. Ganz Zentralasien war vertreten. Und LKW aus Russland waren ebenso zu sehen wie einige aus der Ukraine. Schon interessant, hier warten sie nun alle in der gleichen Schlange. Irgendwie verschwimmen in so einem LKW-Rückstau alle Gegensätze, weshalb in diesem Moment die Kriege und Gefechte der beteiligten Länder gleich noch viel absurder wirken, als sie es sowieso schon tun.

Georgien: enorme Vielfalt auf kleinem Raum

Kurz hinter der Grenze nach Georgien sahen wir die erste Kuh auf der Straße. Wir hatten uns schon etwas darüber gewundert, dass die allermeisten uns bekannten Radreisenden in Georgien Fotos von Kühen auf der Straße veröffentlichen, nun können wir es besser nachvollziehen. Die stehen hier wirklich auf jeder Landstraße, oft mitten auf dem Asphalt, und lassen in aller Ruhe und Gelassenheit wiederkäuend den Verkehr an sich vorbeischlängeln… Für uns trägt das sicherlich zu einem etwas gemäßigteren Fahrstil der sonst das Gaspedal liebenden hiesigen Autofahrer bei: mussten noch in Bulgarien die Kraftfahrer hinter jeder Kurve mit einem Eselgespann rechnen, sind es hier die omnipräsenten, asphaltliebenden Rinder. Batumi an der Schwarzmeerküste bietet einen interessanten Gegensatz: neben älteren Wohngebäuden für die lokale Bevölkerung sind gewaltige Hotel- und Casinobunker internationaler Unternehmen in den Himmel geschossen. Recht schnell lernen wir den - vollkommen zu Recht - bekannten georgischen Wein zu schätzen. Und die georgische Küche hat zahlreiche Speisen zu bieten, die für uns neu sind (ausgezeichnete Eintöpfe, sehr deftige gefüllte Brote, an einer Schnur aufgefädelte Haselnüsse in Traubensaft-Kuvertüre, u.v.m.). Durch das Tal des Flusses Acharistskali fuhren wir hinein in den Kleinen Kaukasus der georgischen Region Adscharien. Durch die lange osmanische Herrschaft lebt hier eine muslimische Minderheit, weshalb Moscheen hier noch zum normalen Ortsbild gehören. Die Bergdörfer verfügen teilweise auch über Moscheen in sehr einfacher Holzbauweise. Wir fuhren durch eine sehr schöne Schlucht mit tief eingeschnittenem Fluss. Die Bäume zeigten teilweise schon eine leichte Herbstfärbung. In den Kurven hinauf zum Goderdzi-Pass konnten wir durch den Blick nach hinten sehen, wie viel Höhenmeter wir gewonnen haben. Adscharien ist landschaftlich wirklich sehr sehenswert! Die enge Piste auf den Pass scheint häufig von Felsstürzen betroffen zu sein, weshalb wir froh sind, gut durchgekommen zu sein. Mit dem Goderdzi-Pass (2.025 m) hatten wir dann auch eine recht spannende Wasserscheide erreicht: wir haben nun das Einzugsgebiet des Schwarzen Meeres (und damit des erweiterten Mittelmeer-Atlantik-Systems) verlassen und sind in das gewaltige eurasische endorheische Becken, genauer gesagt in das Einzugsgebiet des Kaspischen Meeres, gekommen. Ab der Passhöhe waren wir für einen halben Tag zusammen mit den deutschen Radreisenden Till und Tobi unterwegs. Einen Kilometer weiter kam auch noch Christopher dazu, sodass wir insgesamt zu fünft bis Akhaltsikhe rollten. Die Landschaft dort ist eher steppenartig und erinnerte uns sofort wieder an das anatolische Hochland. Ab nun folgten wir dem Lauf des Flusses Kura zunächst durch ein schönes enges Tal hinein in eine weite Ebene, über welcher wir im Norden die schneebedeckten Gipfel des Hohen Kaukasus bestaunen konnten (der Blick auf den Elbrus blieb uns leider verwehrt, da er zu weit nordwestlich lag). Die Kura-Ebene zwischen Khashuri und Gori ist geprägt von extensiver Landwirtschaft: zwischen kleinen Äckern und Viehweiden finden sich immer wieder Obstplantagen, Weingärten, Hecken und lockere Baumreihen. Ab und zu eine wilde Wiese. Immer abwechslungsreich, nie monoton, alles nicht auf bedingungslose Effizienz getrimmt - sehr schön! Kurz vor Tiflis fließt die Kura dann wieder durch eine Steppenlandschaft, ehe die pulsierende und lebendige Hauptstadt Georgiens erreicht wird. Die Stadt ist ein touristischer Magnet mit spannender Restaurant- und Kneipenkultur. Wir nutzten den Aufenthalt hier zur Entspannung, Regelung von Visaangelegenheiten und zum Warten der Fahrräder. Unserem Eindruck nach handhaben das viele aus Europa ankommende Radreisende hier ähnlich: Tiflis ist der letzte Außenposten zum “Durchatmen”, bevor es in die großen Abenteuer Süd- oder Zentralasiens geht…

Über das Radfahren auf diesem Abschnitt

Von Kappadokien ans Schwarze Meer: Von Kayseri aus folgten wir zunächst der D-260 bis Hanlı und dann der D-851 bzw. D-200 bis Yıldızeli. Die D-260 hat durchgängig einen breiten Seitenstreifen, ist in hervorragendem Zustand und auch recht verkehrsarm. Die D-851 ist stellenweise in einem etwas schlechterem Zustand, hatte allerdings wirklich sehr wenig Verkehr, als wir dort fuhren. Die D-850 bis Niksar über Tokat ließ sich ebenfalls sehr gut radeln: der Straßenzustand war in aller Regel sehr gut und die Verkehrsdichte nie unangenehm. Ab Niksar (recht langer Anstieg direkt nach dem Ortsausgang) ist die D-850 nur noch recht schmal und momentan ab Akkuş leider in einem nur mäßigen Zustand, weshalb wir uns auf die Schlaglöcher und Unebenheiten konzentrieren mussten. Auf den letzten 30 Kilometern bis nach Ünye an der Schwarzmeerküste war der Verkehr unangenehm dicht und die Straße nur sehr schmal. Am späten Nachmittag waren sehr viele Kleintransporter von den Haselnussplantagen in Richtung Ünye unterwegs - möglicherweise ist es sinnvoller, diesen Abschnitt der D-850 am Nachmittag zu meiden.

Entlang der Schwarzmeerküste: Von Ünye bis zur Grenze nach Georgien folgten wir mehr oder weniger der D-010. Diese ist sehr verkehrsreich (der gesamte Verkehr muss über diese eine Straße, denn rechts stehen die Berge und links das Meer), hat aber meistens (aber nicht immer) einen breiten Seitenstreifen und ist in sehr gutem Zustand. Von den längeren Tunneln lassen sich einige, aber nicht alle, über Nebenstraßen umfahren. Leider fehlt in sämtlichen Tunneln der Seitenstreifen. Die Tunnel sind allesamt innen beleuchtet, eine sehr gute Sichtbarkeit des Fahrrads ist aber natürlich dringend empfehlenswert! Wer übrigens in seiner/ihrer Planung die freie Wahl hat, in welche Richtung die Schwarzmeerküste befahren werden soll, sollte sich für die Variante von Osten nach Westen entscheiden (also entgegengesetzt zu unserer). Erstens radelt man so direkt am Meer und hat eine schöne Aussicht. Zweitens müssen deutlich weniger Tunnel durchradelt werden, denn einige Tunnel bestehen nur für die landseitige Fahrtrichtung nach Osten und bei anderen Tunneln ist die alte Umgehungsstraße an der Küste nur von der küstenseitigen Fahrtrichtung erreichbar. Drittens müssen bei den zahlreichen Ortsdurchfahrten erheblich weniger Abbiegespuren gekreuzt werden, wenn man auf der küstenseitigen Fahrbahn fährt.

In Georgien von Batumi nach Tiflis: Auf Empfehlung eines Freundes folgten wir von Batumi aus der Straße in Richtung Osten nach Akhaltsikhe. Die Straße ist anfangs in sehr gutem Zustand und vor allem recht verkehrsarm und landschaftlich reizvoll. Ungefähr die letzten 30 Kilometer bis zur Passhöhe sind nicht asphaltiert. Die ersten 20 Kilometer der Abfahrt nach Akhaltsikhe sind ebenfalls unbefestigt und stellenweise leider sehr schlammig, wenn es in den Tagen davor geregnet hat. Bis Akhaltsikhe erfordern (aktuell) noch einige ausgedehnte Straßenbaustellen Geduld, in deren Bereich man auf recht grobem Schotter fahren muss. Ab Akhaltsikhe war die Landstraße bis Khashuri in sehr gutem Zustand, allerdings auch etwas verkehrsreicher. Ab Khashuri folgten wir einer kleineren Landstraße (immer südlich der Kura und der Autobahn) über die Dörfer Khtsisi, Kareli und Skra nach Gori. Diese Straße war ein richtiges radfahrerisches Highlight: eine fast leere, kleine Landstraße in gutem Zustand und ohne nennenswerte Steigungen durch eine wunderschöne Landschaft! Von Gori aus folgten wir weiter südlich der Kura der kleineren Straße über Idleti und Dzegvi bis an den nördlichen Rand von Tiflis. In Tiflis mussten wir uns - vorzugsweise entlang der guten Hauptstraßen - durch den dichten Stadtverkehr schlagen. Kein Vergnügen, aber bei weitem nicht so anstrengend wie die Einfahrt nach Istanbul oder Ankara.

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Von Tiflis nach Jerewan - Berge, Basalt und ein geänderter Plan

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Von Istanbul nach Kappadokien - ab ins Hochland und dann hoch hinaus