Von Tiflis nach Jerewan - Berge, Basalt und ein geänderter Plan

Durch den Norden Armeniens

Nachdem wir die Räder in Tiflis noch einmal einer eingehenden technischen Überprüfung unterzogen hatten, konnte es nun wieder in Richtung Süden weitergehen. Die Ausfahrt aus Tiflis funktionierte überraschend zügig und reibungslos auf guten Straßen. Ab und zu hörten wir leichte Donnergeräusche, welche sich nicht genau identifizieren ließen. Es könnten z.B. entfernte Gewitter, rumpelnde Güterzüge oder aserbaidschanische Artillerie gewesen sein, wer weiß das schon. Die Landschaft war bis zur Grenze für georgische Verhältnisse ungewöhnlich öde. Recht zügig und reibungslos klappte dann der Grenzübertritt - wieder ein neues Land, wieder ein neues Alphabet! In Armenien fuhren wir zunächst entlang des Flusses Debed durch ein immer schöner werdendes Flusstal. Die Straßen waren gut, die Leute freundlich und das Verkehrsaufkommen gering - Genussradeln! Was sofort als Unterschied zu Georgien ins Auge sprang: hier sind noch einmal erheblich mehr Oldtimer aus sowjetischer Produktion unterwegs. Nur ab und zu unterbrachen moderne SUVs (oft mit russischen Kennzeichen) die Illusion der Zeitreise. Der Einzug des Herbstes war nun nicht mehr zu übersehen, was sich auch in einem zunehmend nasskalten Wetter äußerte. Über die Städte Vanadzor, Dilijan und Sewan fuhren wir weiter in Richtung Jerewan. Was uns in den Siedlungen auffiel: kleinere Dörfer sind sehr hübsch und gepflegt, aber die größeren Städte sind in einem gefühlt erheblich schlechteren Zustand als noch in Georgien. Sehr viele Plattenbauten aus sowjetischer Zeit warten auf Instandsetzung, und verbunden mit dem trüben Regenwetter bot sich ein stellenweise etwas finsterer Anblick. Von diesen doch recht deutlichen Unterschieden zwischen Georgien und Armenien waren wir doch etwas überrascht. Auch bezüglich der Beurteilung des aktuellen Krieges in der Ukraine konnten wir - diesbezüglich aber eher wenig überraschend - Unterschiede feststellen: während im nördlichen Nachbarland die Sympathien und Antipathien klar verteilt sind, ist dies in Armenien, für welches Russland die Schutzmacht darstellt, naturgemäß nicht so einfach. In einem Wohnzimmer lief dann entsprechend auch russisches Staatsfernsehen… Omnipräsent in den Städten waren jedoch auch junge Russen, die sich hierhin abgesetzt haben - wir haben unterwegs auch einen Mann aus Moskau getroffen, der dafür sogar das Reiserad über den Kaukasus bis hierhin genutzt hatte. Landschaftlich bot die Strecke im Norden Armeniens Abwechslung: Während bis Dilijan noch dichte Mischwälder und Wiesen dominierten, erstreckte sich ab dem Sewansee wieder eine weite, kahle Steppe. Ein absolutes Highlight beim Radeln nach Jerewan: plötzlich tauchte am Horizont der Gipfel des gewaltigen Vulkans Ararat auf, welcher hier aus der Ebene bis auf über 5.000 m aufragt. Ein gewaltiger Anblick!

Im Umland Jerewans: die drei “G”s

Während unseres Aufenthalts in Jerewan rückte die aktuelle Lage im Iran mit Nachdruck in unsere Gedanken. Wir sprachen darüber mit Andi und Simon, zwei Radreisenden aus Deutschland bei Pizza und Bier. In einigen WhatsApp-Gruppen für Radreisende fanden zeitgleich ebenfalls rege Diskussionen darüber statt. Die Unterhaltungen bei Matthias’ Friseurbesuch fassten die Lage gut zusammen: Der Friseur erzählt, dass Matthias nicht der erste deutsche Radreisende bei ihm sei. Hätte uns ehrlich gesagt auch etwas gewundert. Wir sind viele, besonders auf dieser Route hier. Später kommen seine beiden Kumpel dazu, welche dieses Jahr schon Deutschland bereist hatten. Alle drei stammen aus dem Libanon. Der Friseur rät ab, dort Rad zu fahren (das Auswärtige Amt auch, aber die raten eigentlich von allem ab, was über Pauschalurlaub an der Mosel hinausgeht…). Wir unterhalten uns über die Möglichkeiten der Weiterfahrt. Einer der beiden Kumpel meint, dass wir Russland nehmen sollten. „Bald zu kalt“, wendet Matthias ein (und gewisse andere Gründe, denkt er sich…). „Stimmt“, sagt der andere. „Irak“, sagt der Friseur. „Geht momentan nur der Nordteil wirklich“, wendet Matthias ein. „Dann bleibt nur Iran“, sagt der dritte. Und hat (leider) Recht. Um Zeit zu schinden (geht immer, wenn man nicht weiter weiß), fuhren wir zunächst nach Goght, einem kleinen Ort südöstlich von Jerewan. Der dortige Campingplatz ist ein Anziehungspunkt für viele Überlandreisende und ein guter Ort zum Verweilen. Nachbarorte Garni und Geghard haben einiges an Sehenswürdigkeiten zu bieten. Die Gegend war einer der östlichsten Ausläufer des römischen Reiches und in Garni stand bis 1679 ein Tempel aus dem 1. Jahrhundert, von welchem nun eine Nachbildung hier besichtigt werden kann. Etwas nördlich des Tempels hat der Fluss Azat gewaltige Formationen aus Basaltsäulen freigelegt, die ein spektakuläres Bild bieten. In Geghard befindet sich ein armenisch-orthodoxes Kloster aus dem 13. Jahrhundert, welches heute zum UNESCO-Welterbe gehört. Neben der Hauptkirche gibt es dort eine in den Felsen getriebene Höhlenkapelle, die eine herausragende Akustik bot, als ein Mönch dort sang.

Nichts ist so beständig wie die Planänderung

Nach einigen Tagen des Hin-und-Her-Überlegens (die für uns - mit großem Abstand - den bisherigen mentalen Tiefpunkt dieser Reise darstellten) haben wir uns in Goght entschieden, aktuell nicht in den Iran zu fahren. Die Entscheidung fiel uns sehr schwer, denn die Sicherheitslage für Individualreisende im Iran ist aktuell nur schwer zu beurteilen. In WhatsApp-Gruppen wird über die Festnahme von Radreisenden berichtet, die scheinbar nichts anderes getan hätten, als Rad zu fahren. Im Gegensatz zu früheren Festnahmen von Ausländern lässt sich dies aber bislang nicht durch entsprechende Agenturmeldungen bestätigen. Letztendlich haben wir uns entschieden, dies aktuell nicht selbst testen zu wollen. Einige oder viele Radreisende haben sicherlich aktuell nach wie vor gute Erfahrungen im Iran. Wir selbst können die Zuversicht dafür an dieser Stelle aber momentan nicht aufbringen. Ein weiterer Grund für unsere Entscheidung war, dass wir gern Innenstädte mit ihren Sehenswürdigkeiten besichtigen, wovon Iran-Reisende aktuell aber abraten. Das wollten wir dann nur ungern auslassen. Es geht für uns nun also nicht in den Süden Armeniens und dann weiter in den Iran. Stattdessen sind wir von Jerewan aus mittels Zug erst wieder nach Tiflis und dann nach Batumi gefahren. Von dort aus sind wir wieder das kurze Stück in die Türkei geradelt, wo wir einen Bus zurück nach Kappadokien (genauer Aksaray, der bislang südlichsten Stadt auf unserer Reise) genommen haben. Wir werden unsere Reise nun an die Mittelmeerküste und dann nach Zypern fortsetzen. Von dort aus wollen wir nach Israel, um anschließend die arabische Halbinsel zu durchqueren. Da sämtliche Schiffsverbindungen nach Israel ausgesetzt oder abgeschafft wurden, wird uns wohl leider nichts anderes übrig bleiben, als dorthin zu fliegen, was leider eine Misshandlung der Umwelt und der Fährräder darstellt (die Frage ist nicht ob, sondern wie schwer die Räder dabei beschädigt werden). Wir mussten aber leider akzeptieren, dass sich die Möglichkeiten zum Überlandreisen in Europa und Asien immer weiter reduzieren, sei es aufgrund geschlossener Grenzen unter dem Vorwand von COVID-19, aufgrund von Kriegen oder aufgrund politischer Krisen. Es ist keine gute Zeit für Eurasien. (Absurderweise erlauben mit Verweis auf die Pandemie übrigens einige Staaten die Einreise per Flugzeug, nicht aber auf dem Land- und Seeweg. Hmm, welches Verkehrsmittel kann nochmal am schnellsten Krankheiten in aller Welt verbreiten? Genau…)

Über das Radfahren auf diesem Abschnitt

Von Tiflis nach Jerewan: Vom Tiflis aus folgten wir der Fernstraße Nr. 6 bis Marneuli und dann der Nr. 7 bis zum Grenzübergang Sadakhlo-Bagratashen. Die beiden Straßen sind in einem sehr guten Zustand (an einigen Stellen ganz neu), jedoch eher schmal, weshalb die Verkehrsdichte zwischen Tiflis und Marneuli recht unangenehm wurde. Obacht vor den Straßenhunden: auf unserer gesamten bisherigen Reise haben wir im Süden Georgiens das bislang höchste Aggressionspotential bei den Viechern registriert. Im Vergleich zu ihren türkischen und westgeorgischen Verwandten scheinen die Hunde hier erheblich weniger “zweiradsozialisiert” zu sein. Der Ultraschall-”Dazer” erwies sich aber als hilfreich. In Armenien folgten wir der Fernstraße M6 bis Vanadzor, dann der M8 bis Dilijan und schließlich der M4 bis Jerewan. Der Zustand der Straßen war in einem überraschend guten Zustand und der Verkehr nie unangenehm dicht. Ein Tipp für die M4 zwischen Dilijan und dem Sewansee: der längere Tunnel ist Berichten anderer Radreisender zufolge sehr schlecht belüftet und eng. Wir haben ihn deshalb über die alte Passstraße umfahren. Die zusätzlichen Höhenmeter lohnen sich: die alte Straße ist in einem passablen Zustand und fast vollkommen leer, da der Fernverkehr durch den Tunnel fließt. Ab dem Sewansee kann man dann den sehr gut befahrbaren Seitenstreifen der M4 bis Jerewan nutzen. Die kleine Bergstraße H3 nach Geghard war dann ebenfalls gut befahrbar und nie zu steil.

Mit dem Zug von Jerewan nach Tiflis, von Tiflis nach Batumi und mit dem Bus von Batumi nach Kappadokien: Um nach unserer Umplanung von Jerewan wieder nach Kappadokien (genauer nach Aksaray) zu kommen, nutzten wir zunächst zwischen Jerewan und Tiflis den Nachtzug. Die Fahrscheine dafür sollten am besten nicht erst kurz vor der Abfahrt gekauft werden (Schalter im Hauptbahnhof Jerewan), denn wenn alle Liegen belegt sind, werden keine Tickets mehr vergeben. Für Fahrräder muss jeweils eine eigene Liege gebucht werden, d.h. man zahlt mit Fahrrad den doppelten Preis. Das Zugpersonal wies uns in unserem Fall dann auch an, die Räder unbedingt auf den Liegen zu verstauen (dafür musste der Lenkerbügel längsgestellt und das Vorderrad ausgebaut werden - Werkzeug und ggf. Transportsicherungen für Bremsen sollten also bereitgehalten werden). Dies deckt sich auch mit den Berichten anderer Reisender. Unserer Recherche nach gibt es leider wohl aktuell keine ratsamen Alternativen auf dieser Strecke, denn die Fahrradmitnahme in den Marschrutkas soll auch nicht ohne weiteres möglich sein. Der Schnellzug von Tiflis nach Batumi (Tickets im Hauptbahnhof von Tiflis) war erheblich geräumiger, weshalb alle Sachen leichter verstaut werden konnten. Die Mitnahme des Fahrrads kostete hier (Stand Oktober 2022) nur 5 Lari pro Stück (direkt am Bahnsteig beim Zugpersonal zu bezahlen), allerdings mussten wir wieder die Vorderräder ausbauen, damit die Räder als Gepäck gelten… Da grenzüberschreitende Busse von Batumi in die Türkei wohl erfordern, dass die Reisenden mit ihrem Gepäck selbst durch die Grenzabfertigung gehen, sind wir das kurze Stück von Batumi bis zur Grenze einfach gleich selbst geradelt. Von Kemalpaşa (wenige Kilometer hinter der Grenze) fährt täglich ein Bus direkt bis Konya (u.a. über Trabzon, Samsun und Aksaray; Abfahrt vor dem “Lüks Karadeniz”-Büro, Tickets online oder beim Buspersonal). Die Fahrräder wurden dort liegend im Gepäckraum des Busses verstaut (Übergepäckgebühr (Stand Oktober 2022) 400 Lira).

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Von Kappadokien ans Mittelmeer und dann nach Zypern - Derwische, Karawansereien und das Troodos-Gebirge

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Von Kappadokien nach Tiflis - Hochland, Schwarzes Meer und Georgiens enorme Vielfalt